Von der Schwierigkeit, das Besondere in Worte zu fassen

Montagabend bin ich zurück nach Hause gekommen. Obwohl, wo ist schon zu Hause? Als ich angefangen habe, im tiefen Süden Deutschlands zu studieren, war das noch leicht zu unterscheiden: Zu Hause war Jülich im Rheinland, die Kleinstadt in der ich aufgewachsen bin, und die mich geprägt hat. Daheim dagegen wurde relativ schnell Konstanz, mein Studienort, der Geburtsort zweier Kinder, mein Wohnort für viele Jahre. Aber das Zuhausefühlen hat sich auch immer wieder anderswo eingestellt: In meinem Austauschjahr in Portland, Oregon, als der Busfahrer, der Landstreicher an der Ecke und die Wirtin im Diner die Straße runter mich persönlich begrüßt haben, weil ich öfter als zwei, drei Mal da gewesen war. Oder im Haunt, einem Buchladen/Cafe/Unterschlupf für Nerds und Geisterbeschwörer, gleich um die Ecke des Studentenwohnheims in Mo'ili'ili, Oahu, Hawai'i, wo ich die meisten Nachmittage meines Forschungssemesters verbracht habe. 

 

Und in der Musik, immer wieder in der Musik. Eine Heimat, die ich in Zeiten von Smartphones noch leichter mit mir herumtragen kann als immer schon zuvor. Die erste Heimat setzte sich aus "The Walk" von The Cure, "Black Celebration" von Depeche Mode, "Being Boiled" von The Human League und "Push" von The Invincible Spirit zusammen. Dazu kamen die Ärzte, die Toten Hosen, Punk und Transvision Vamp. Wave, Gothic, Rock, Metal - und auch Ausflüge in fremde, weichere Gefilde, aber das ist das Heimatland, immer noch und immer wieder. So wie Hawai'i dabei exotisch fremd scheinen mag, so fühle ich mich auch in der Exotica-Musik seltsam heimisch, sie ist wie der Balkon, der Wintergarten, die Sonneterrasse zu meinem Haus aus Fels und Metall, zum Fundament des dunklen Kellers.

 

Schön, gell? Und wo will ich mit diesem Konstrukt hin, diesem conceit, wie die Engländer ein komplexes, barockes Metapherngebilde nennen würden? (Für mich ist das Bild in meinem Kopf dazu ziemlich barock, mag sein, dass die Klänge und Farben etwas abeschwächt rüberkommen, jeder hat schließlich sein eigenes Haus)...

 

Ganz einfach, ich war in den letzten Wochen mehr on the road als daheim, unterwegs zwischen Regengüssen und Frankfurter Skyline, zwischen Allgäuer Kinderfest und Matschhölle Wacken, zwischen Schiffen und Kirchtürmen in Hamburg und geliebter Herde in Hildesheim... Fast schon wie meine Heldin Luise aus Sex, Zeitreisen und Rock'n'Roll, was?! Nur eine Band wie Lumiukko hat gefehlt - aber man holt sich seine Groupie Kicks wo man sie kriegen kann (O.o)

 

Und auch wenn ich sicher nicht dauerhaft in Igluzelt und Kleinwagen wohnen möchte, von Dosenbier und Dresdner Handbrot leben möchte - ich habe mich in den letzten Wochen so oft so wunderbar zu Hause gefühlt, dass ich mich am Montagabend, als der Bodensee in Sicht kam, kein bisschen gefreut habe, wieder daheim zu sein. Ich habe mich auf ein weiches Bett gefreut, aufs Wäsche waschen und unter der eigenen Dusche stehen, auf meinen eigenen Computer, und sehr sehr sehr auf meine Töchter, ja.

 

Aber ob unter Autorenkolleginnen in Frankfurt, als Einzelkämpferin auf Wackenspaziergang (Waterworld, anyone?), auf Entdeckertour auf der Elbe, dem Jungfernsteig und dem Turm der Petrikirche, bei überraschenden Begegnungen, die nur eine weitere Lektion im Zuhausesein bei sich selbst waren, oder zuletzt in unserem Wahnsinnscamp beim M'era Luna in Hildesheim - überall war ich zu Hause, geerdet und trotzdem auf Überflug, die Nacht war Tag und die Tage waren verhangen, und ich habe mich so wohl gefühlt, dass ich die Zeit gern angehalten hätte, oder wie einst der Halbgott Maui in der Hawaiianischen Mythologie die Sonne dazu gezwungen, langsamer zu wandern, damit mehr Zeit bleibt...

 

Die vergangenen Wochen brodeln noch in mir, haben mir den Spiegel vorgehalten, mich an unbeschwertere Zeiten erinnert, gemahnt, mir gezeigt wo ich stehe, wo ich herkomme, was noch geht, wo es hin gehen kann, was ich will, was ich suche... Die Umzugspläne, die Arbeitssuche, das Selbstverständnis als Schriftstellerin - alles im Fluss, on the road, das Haus immer noch im Bau.

 

Musikalisch gesehen war das diesjährige M'era Luna lange nicht so gut wie seine Vorgänger. Placebo war schön, ein paar Acts wie Eisbrecher boten gute Unterhaltung, aber alte Hasen wie New Model Army kamen schwach und wie mit angezogener Handbremse rüber (abgesehen davon dass sie wenig "gothic" sind). Aber die Musik in unserem Camp, in dem wir sowieso mehr Zeit als vor der Bühne verbracht haben, hat den perfekten Soundtrack zu einem sonnigen, albernen, entspannten, heimeligen Wochende geliefert - kein Wunder, dass einige von uns schon überlegen, wo wir unser nächstes Camp aufschlagen: Wer braucht schon ein Festival nebenan?

 

Und noch was. Das Zuhause der Musik wächst immer weiter, manchmal bekommt es unerwartete Anbauten, die so gar nicht zu passen scheinen, sich aber ihren Platz suchen. Gerade höre ich zum x-ten Mal eine kleine CD mit 4 Tracks, die ich in Hamburg von einem sehr hübschen Iren geschenkt bekommen habe. Man stelle sich Hugh Jackman vor, um einiges schmaler allerdings als Wolverine.  Normalerweise meide ich Reggae wie das Weihwasser oder die Pest. Aber wenn er aus solcher Quelle fließt, kann man ja mal eine Ausnahme machen. Siehe da, auf einmal hat das was...

 

Nur ein weiteres Beispiel dafür, dass Heimat aus Musik besteht, und all den Assoziationen und Erinnerungen, die wir damit verbinden. Und damit verweise ich Euch heute auf die Bilder in Eurem eigenen Kopf, und meine Bilder von unterwegs folgen später... (auf Facebook habe ich allerdings ein paar Alben verlinkt)   

 

Schließen wir mit Shakespeare... If music be the food of love, play on...

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